Verständnis = Verstehen?

Muß ich etwas verstehen um Verständnis für eine Person, eine Sache, eine Meinung etc. aufbringen zu können?

 

Diese Frage beschäftigt mich seit Jahren. Um für mich eine klare Meinung bilden zu können war es mir immer sehr wichtig,

dass ich das was mich beschäftigte auch klar verstehe. Vor einigen Jahren, als ich begann gegen meinen übertriebenen Perfektionismuss anzukämpfen, wurde mir bewusst das es nicht immer um das klare Verstehen an sich geht, sondern das ich mir auch eine Meinung bilden kann wenn ich für eine Sache, Meinung, Person und auch Weltanschauung Verständnis aufbringen kann.

 

Ich stellte fest, dass es mir mein Leben mehr erleichtert als ich ich glauben mochte. Ich hinterfrage alles nicht mehr bis ins kleinste Kalkül. Ich muss nicht in den Vergleich bringen ob und wie was auch für mich passend  wäre. Ich kann einfach auch etwas akzeptieren und eine wohlwollende Meinung bilden, wenn nichts was mich beschäftigt in und zu meinem Leben und zu meinen Einstellungen passen würde. Ich hätte nie gedacht, dass dies so entspannend sein kann.

 

Als kleiner und sehr angenehmer Nebeneffekt ist die Tatsache, dass sich die Toleranz weiter ausbildet. Einfach weil man mit Verständnis statt dem 100%igen Verstehen zufrieden sein kann. Verstehen ist immer der direkte Bezug zu sich selbst. Eine Sicherheit für "schwarz-weiß" denken. Ich kann etwas klar gutheißen oder auch klar ablehnen. Perfekt für einen Menschen, dem Perfektion über alles geht und dessen narzisstische Grundzüge Nahrung bekommt. Aber ein "ich kann nichts nachempfinden, ist aber ok für mich" lässt eine geistige Ruhe zurück. Sich aber den Druck aussetzen für ein klares "Ja" oder "Nein"...das kann bei einer gewissen Häufigkeit nerven.

 

Es gab eine Zeit, da habe ich mich sehr mit Homosexualität beschäftigt. Wie stehe ich persönlich dazu? Ist es Neigung oder Veranlagung? Vielleicht auch eine Laune der Natur? Es war mir wichtig dazu eine klare Meinung zu haben. Also tauchte ich in das Thema ein und durch viele Gespräche, neue Freunde und Bekanntschaften, versuchte ich für mich herauszubekommen ob ich das richtig verstehen kann. Vielleicht sogar mit dem Ergebnis: sind wir nicht alle ein bißchen schwul/lesbisch und durch Erziehung und Gesellschaft unterdrücken wir unsere eigene Form der Homosexualität?

Bis hin zur Selbsterfahrung war dies ein ganz wichtiges Thema. Am Ende brachte es mir die Erkenntnis, dass ich definitv heterosexuell bin und das ist gut so. Gleichzeitig brachte es mir die Erkenntnis, dass ich es mir wirklich nicht vorstellen kann homo- oder bisexuell leben zu können. Und ich verstehe es auch nicht (weil es mein eigenes Gefühl nicht erreichen kann).

Aber ich habe ein riesen Verständnis dafür, dass gleichgeschlechtliche Liebe etwas wertvolles  ist. Auch wenn ich nicht verstehe wie man homosexuell leben kann, so hat es für mich eine Berechtigung in meinem Leben gefunden. In diesem Fall mit dem Resumee: liebt wen ihr wollt! Es gibt kein schöneres Gefühl als zu lieben und geliebt zu werden.

 

Ebenfalls ist das Transgender Thema so ein Fall für mich gewesen. Ich kann es überhaupt nicht verstehen, wie es ist in einem falschen Körper geboren zu sein. Wie sich das im Lauf der Jahre immer schlimmer für die Beteiligten anfühlt und welche psychischen Nöte ausgestanden werden müssen. Ich kann dem nicht nachfühlen. Ich bin gerne Mann, Kerl, Junge und bin überhaupt nicht in der Lage darüber allein nur nachzudenken wie dies sich für mich falsch anfühlen könnte.

Aber auch hier völlige Unsicherheit verstehen zu können. Aber ich habe Verständnis für das Leid und mit Leid und leiden kenne ich mich aus. Und auch für alle mit diesem Thema zusammenhängenden Probleme habe ich Verständnis. Und das verschafft mir am Ende auch die so geliebte Sicherheit.

 

"Ich bin nicht auf diesem Planeten um alles zu verstehen..."

 

Ja, ein sehr sinniger Spruch. Wenn wir also anfangen unseren eigenen Perfektionsismus zur Klarheit entspannter zu sehen, können wir uns mehr Raum für Verständnis geben.

 

Es geht ja auch anders rum...können und wollen wir jemals richtig verstanden werden? Oder ist es nicht schon ok wenn wir Akzeptanz erlangen in dem andere Verständnis für uns und unserem Leben haben?

 

Herzlichst

Euer

Frank Oleschko